Uns wird in der Schule viel über soziale Ungerechtigkeit und gesellschaftliche Unterschiede erzählt. In vielen Filmen gibt es diese typische Szene, in der aus einem Zug gefilmt wird, der an Slums oder heruntergekommenen Vierteln vorbei fährt. Wirklich in einem Zug zu sitzen und an Autowracks, zusammengewürfelten Hütten und heruntergekommenen Häusern vorbeizufahren hat jegliche Vorkenntnisse übertroffen. Schon in den ersten sieben Tagen, die ich jetzt fast hier bin, habe ich den unglaublich großen Spalt zwischen Arm und Reich und die Zwiespältigkeit erlebt, der in Buenos Aires herrscht.
Während das Hafengebiet mit seinen Hochhäusern, gefüllt mit unbezahlbaren Wohnungen, in Geld zu schwimmen scheint, hatte ich in anderen Gegenden Angst, mit meinem Handy Fotos zu machen. Dank unserer Unterkunft bei dem leitenden Referenten der Freiwilligen, der uns während dem gemeinsamen Abendessen gerne und ausführlich über Themen wie argentinische Politik, Projekte der IERP und unseren Projekten im Detail aufklärt, sind mir viele der Umstände, die ich gesehen habe, klarer geworden.
Auch die Art, seine Meinung an die Öffentlichkeit zu bringen, scheint hier anders zu sein, wie in Deutschland. Vor allem am Plaza de Mayo, um den sich Gebäude, wie die Banco Nacional oder das Casa Rosada befinden, sind mir extrem viele Parolen gegen die Regierung, für Rentenvergünstigungen der ehemaligen Soldaten im Kampf um die Malivas und andere gesellschaftspolitische Themen aufgefallen. Die Art der Kommunikation ist nicht nur in privaten Gesprächen lauter und öffentlicher als in Deutschland. Gerade diese emotionale Art sich mitzuteilen, gefällt mir jetzt schon sehr. Die Menschen scheinen interessierter, sie empfangen dich nie als Fremde, jeder wird sofort umarmt und mit dem landestypischen Kuss auf die Wange begrüßt.
Diese sehr herzliche und einladende Art ist mir auch sofort in meinem zukünftigen Projekt aufgefallen, dass ich am Freitag das erste Mal besuchen durfte. Es handelt sich dabei um eine Schule, gelegen in Los Polvorines, einem Bezirk von Buenos Aires. Die private Schule unterscheidet sich von den öffentlichen Schulen durch verschiedene Punkte. Hier ist es nicht egal, ob die Kinder zur Schule erscheinen oder nicht, es wird eine einheitliche Uniform getragen, die oft traumatischen und schwierigen Familienverhältnisse der Kinder werden hier berücksichtigt und thematisiert. Die Schule deckt vom Kindergarten bis zur escuela secundaria jede Alters- und Ausbildungsstufe ab. Mein Mitfreiwilliger Benedikt und ich werden voraussichtlich vor allem im Kindergarten mithelfen, aber auch in der Schule versuchen wir unser Bestes, den Deutsch- und Englischunterricht zu unterstützen und die Schüler beim Lernen der Sprachen zu begleiten. Die Schule soll den Kindern nicht nur den Schulstoff näherbringen, sie deckt auch Bereiche der Erziehung ab, die manchen Schülern verwehrt wurde. Die Schüler lernen Teamfähigkeit, Motivation und viele weitere Werte. Nach nur zwei Stunden Rundgang durch die Schule hatten wir beiden Freiwilligen ein Grinsen im Gesicht, eine gute Voraussetzung für das kommende Jahr!
Nicht nur die Voraussichten auf das Projekt begeistern mich, auch die jetzige Zeit im Seminar ist vor allem durch die Menschen sehr sehr schön. Schon nach einer Woche sind wir 55 Freiwilligen wie eine große Familie, das folgende Jahr ist nicht das einzige, was uns zusammenschweißt. Wir verbringen sehr schöne Abende zusammen, entdecken Buenos Aires und bereiten uns zusammen auf die kommenden Monate vor. Auch wenn jeder wo anders hingeht und jedes Projekt anders ist, haben wir doch alle ähnliche Sorgen und Freuden. Die Übernachtungsmöglichkeiten in Paraguay, Uruguay und in Argentinien sind auf Reisen jedenfalls schon einmal gesichert. Es ist schön, zu wissen, dass man nicht alleine in die kommende Zeit geht!
Heute morgen wurden wir im Sonntagsgottesdienst einem Teil der Gemeinde der IERP vorgestellt und die Pfarrerin hat in ihrer Predigt einen sehr schönen Satz gesagt: „Ich freue mich, dass ihr euch entschieden habt, uns und diesem Land ein Jahr eures Lebens zu schenken.“ Schon jetzt ist mir wieder einmal deutlich geworden, das Zeit und Aufmerksamkeit schenken so viel mehr wert ist, als materielle Dinge. Jedoch schenken nicht nur wir der IERP ein Jahr, sondern sie auch uns. Ich bin jetzt schon dankbar für diese Zeit!
In diesem Sinne liebe und mittlerweile sonnige Grüße aus Buenos Aires, einer unglaublich schönen, widersprüchlichen, spannenden, vielfältigen Stadt am anderen Ende der Welt 🙂