Nachdem ich mich jetzt stolze vier Wochen nicht gemeldet habe, nehme ich mir jetzt mal wieder Zeit die letzten Wochen Revue passieren zu lassen. Dadurch, dass wir sehr viel arbeiten und es so unglaublich viel zu entdecken gibt, fällt es mir in letzter Zeit schwer, eine ruhige Minute zu finden.
Ich bin jetzt seit circa 6 Wochen in meinem Projekt und langsam lässt sich eine alltägliche Struktur erahnen. Während den Tagen im Kindergarten habe ich vormittags meine „feste Gruppe“ und muss sagen, dass ich die Kleinen schon ziemlich ins Herz geschlossen habe. Nachdem ich anfänglich noch ziemlich oft mit dem Namen meiner Vorgänger angesprochen wurde, lernen die Kinder Stück für Stück unsere für sie doch sehr komisch klingenden Namen und sind auch sichtbar stolz dadrauf! Es ist schön, zu sehen, dass sie sich freuen, wenn man morgens den Raum betritt und nach einem fragen, wenn man mal einen Tag nicht da ist. Trotzdem müssen wir uns noch sehr in Geduld üben. Vor allem die Tage, in denen wir in der Schule arbeiten, laufen meist noch sehr chaotisch ab und die Spontanität, die hier den Alltag bestimmt, kann manchmal sehr anstrengend sein. Was mir die letzten Wochen immer mehr aufgefallen ist, ist die Liebe der Argentinier dazu, jeden Feiertag ausgiebig zu feiern! So wurde hier am 21.9. der Frühlingsanfang in Form eines kleinen Festes gefeiert, an dem alle Kinder im Kindergarten verkleidet in die Schule kamen, kleine selbstgebastelte Geschenke erhielten und die Primaria einen Spielenachmittag veranstaltete. Es vergeht eigentlich kaum eine Woche, in der ich ganz normale fünf Arbeitstage habe. So wurde zum Beispiel auch das 200. Jubiläum der Andenüberquerung von San Martin groß gefeiert und mit einer „Muestra Distrial“ verbunden. Darunter kann man sich ein Treffen aller Schule aus dem Distrikt vorstellen, die verschiedene themenbezogene Basteleien oder Kunstwerke vorstellen und so ihre Schule repräsentieren. Dieses Jahr ging es eben um die Andenüberquerung von José de San Martín, die Gastschule war gefüllt von kreativen Nachbildungen der Anden, Wissensspiele über das historische Ereignis und süßen Theaterspielen der etwas kleineren. Ein weiteres sehr wichtiges Ereignis, auf das schon lange hingebastelt wird, ist der „Día de las madres“, der hier am kommenden Sonntag gefeiert wird. Die Kindergartenkinder haben mit Hilfe der Lehrerinnen und uns Freiwilligen ein sehr originelles Tablett mit Händen und Füßen gestaltet! Im Allgemeinen wird den Kindern in unserem Projekt unglaublich viel geboten. Neben Theaterstücken für die Kleinen, finden sehr viele Projekte und Aktionen auch von den Größeren statt. So wurde vor zwei Wochen eine Art Miniausgabe von dem deutschen Konzept „Schule als Staat“ von der Secunadaria vorbereitet; die Schüler wurden in verschiedene Gruppen eingeteilt, in denen sie entweder etwas herstellen und es anschließend auf einer Feria (Flohmarkt) verkaufen konnten oder eine Art Firma gründen konnten, die dann an besagtem Tag vorgestellt wurde. So sollten die Jugendlichen ein Gefühl für den Arbeitsmarkt bekommen und lernen, wie das Prinzip des Handelns funktioniert. Auch Themen wie Sexualkunde oder Aufklärung der Rechte werden den Kindern immer wieder näher gebracht. Gerade in Argentinien, wo das Problem der frühen Schwangerschaften ein großes Thema und die fehlende Verhütung und Aufklärung im Allgemeinen ein großes Problem darstellen, finde ich diesen Punkt sehr wichtig. So fand letztens eine Präsentation für die 10-12 Jährigen über das Thema Pubertät statt. Dort wurde vor allem der Wandel des weiblichen Körpers und die erste Periode der Mädchen thematisiert. Diese Präsentation war auch für die Jungs Pflicht und obwohl man die allgemeine Unbehaglichkeit der Kinder vor allem durch das ständige Gekichere gemerkt hat, fand ich die Idee, auch den Jungs genau zu erklären, was bei den Mädchen während der Periode passiert, einen ziemlich guten Gedanken. Ziel ist es einfach, den Mädchen ihre Angst und ihren Scham zu nehmen und das Thema so früh wie möglich als das zu betrachten, was es ist: die ganz normale Natur des Menschen.
Ein weiteres sehr schönes Erlebnis mit den Kindern war das „Campamento“ der vierjährigen im Kindergarten. Dabei handelte es sich um eine eintägige Freizeit für die mittlere Stufe des Kindergartens in einer total schönen Sportanlage in dem Stadtteil der Schule. Abgesehen von dem Bombenwetter, war auch die Laune von allen Beteiligten echt super und wir hatten einen sehr lustigen Tag zusammen. Neben einigen Spielen und gemeinsamem Essen, haben wir zusammen Hüte aus Zeitungspapier gebastelt und es wurde ziemlich viel getanzt. Auch an dem Tag ist mir wieder die unglaublich herzliche und auch leicht chaotische Art der Argentinier aufgefallen, die ich hier überall erlebe. Das Programm war recht locker gehalten, alle hatten Zeit sich auszutoben und die Betreuer konnten ihren Mate trinken. Trotzdem wurde den Kindern sehr viel geboten und es wurde viel Arbeit in den Tag gesteckt.
Aufgrund der Liebe zu Feiertagen habe ich jeden Monat mindestens einmal langes Wochenende, was sich perfekt für Kurztrips eignet. Die Dimensionen einer 13,5 Millionen-Einwohner-Stadt wird einem erst richtig bewusst, wenn man versucht, aus ihr heraus zu fahren. Nach eineinhalbstündiger Busfahrt immer noch im Stadtinneren zu sein, hebt einem die unglaubliche Fläche, die diese Stadt einnimmt, erst richtig vor Augen. Deswegen ist es schön, auch mal ein Wochenende aus dieser Mega-City rauszukommen. Anlässlich des bereits erwähnten Frühlingsanfangs bin ich mit einigen anderen Mitfreiwilligen und einigen Jugendliche zusammen zu einem weiteren Projekt der IERP in Baradero gefahren, ein Tageszentrum für Kinder. Dort fand ein Frühlingsfest statt, bei dessen Vorbereitung wir die letzten zwei Tage noch geholfen haben. Abgesehen von dem Grillhimmel, der während des Festes mal wieder zelebriert wurde und dem unfassbaren Tortenbuffee, mit dem kein Kuchen in Deutschland mithalten kann, sind mir von dem Fest vor allem zwei Dinge in Erinnerung geblieben. Zum Einen, wie schnell Menschen trotz Sprachbarriere zusammenfinden. Auch wenn bei manchen aus der Gruppe das Spanisch noch nicht so gut sitzt, war das für uns Jugendlichen kein Problem. Gemeinsame Interessen und gleiches Alter verbindet einfach.
Zum Anderen ein Satz, den der Pfarrer in der Eingangspredigt gesagt hat: „Levanta la voz por los que no tienen voz“, was soviel heißt wie „Erhebe die Stimme für die, die keine Stimme haben“. Ich finde dieser Satz beschreibt ganz gut, was unsere Aufgabe hier im Projekt, aber auch im Leben allgemein ist. Man kann nicht jedem helfen und auch nicht alles ändern, aber man sollte sich stark machen für die, die des nicht können. Vor allem für die Kinder, die noch zu klein sind, sich gegen die zu wehren, die eigentlich für ihren Schutz verantwortlich sind.

Diese Message hatte auch der Sänger von El Residente für uns, auf dessen Konzert ich mit Freunden vor einigen Wochen war. Es war eines der besten Konzerte, auf denen ich jemals war, ich kann jedem den Künstler und auch seine Band „Calle 13“ wärmstens empfehlen. Diejenigen, die kein Spanisch können, sollten sich auf jeden Fall mal die Übersetzung seiner Texte durchlesen. Der Eintritt für dieses unglaubliche Erlebnis war eine Packung Reis. Wahlweise auch Nudeln oder Mehl, irgendein Nahrungsmittel, dass länger haltbar ist und so an Familien gegeben kann, die an Hunger leiden. Diese Art von Benefiz-Konzert, bei dem die Spende ein Nahrungsmittel ist, ist unglaublich selbstlos und hat meinen tiefsten Respekt verdient. Von einer Packung Reis kann die Band oder der Veranstalter nichts abzweigen, eine Packung Reis können sich auch Menschen leisten, für die ein Ticket für „El Residente“ nicht bezahlbar wäre. Der Künstler kann normalerweise Stadien füllen und hat sich bereiterklärt unter freiem Himmel zusammen mit Kindern, Familien, Jugendlichen und Älteren einen Abend zu verbringen und Musik zu machen. Und vor allem, auf die Umstände der Welt aufmerksam zu machen. Neben der einzigartig guten Live-Musik haben mich vor allem seine Bitten und Fragen an das Publikum berührt. Jeder von uns hatte zu einem Zeitpunkt des Konzertes Tränen in den Augen, jeder hat mit jedem getanzt, egal ob man die Person kannte oder nicht. Uns ist allen klar geworden, wie schön dieses Land und seine Leute sind und wie traurig seine Geschichte ist.
Das Thema Politik und Wirtschaft dieses Landes ist im Allgemeinen allgegenwärtig, vor allem bei der älteren Generation. Ich möchte mich nicht politisch zu irgendetwas in diesem Land äußern, dazu habe ich nicht das Recht und dazu noch viel zu wenig Ahnung. Aber unsere Vermieterin hat mir ihre Sicht der Politik letztens bei einem gemeinsamen Asado so erklärt: Alle vorherigen Präsidenten waren von Beruf Richter. Was macht ein Richter? Er sucht die Schuldigen. Mauricio Macri hingegen war Ingenieur. Und was macht ein Ingenieur? Er erschafft Dinge. Er baut Schulen, soziale Einrichtungen und Krankenhäuser. An diesem Punkt muss sich jeder für sich überlegen: Was willst du? Richter oder Ingenieur? Ich fand diese Worte sehr weise gewählt und ich habe für mich viel darüber nachgedacht.
Ein weiteres Highlight der letzten Wochen war mein Wochenendtrip nach Uruguay. Hier muss ich zu allererst die Busse erwähnen. Wer schon einmal Flixbus gefahren ist, weiß, wie unangenehm die Fernbusse in Deutschland manchmal sein können. Fernbusse in Südamerika sind der Himmel. Ich habe auf diesen Sitzen, die man alle zu Betten umklappen konnte besser geschlafen, als in manchen Hotelbetten. Dadurch ist das Reisen mit einem Nachtbus in Südamerika auf jeden Fall empfehlenswert! Die andere Sache ist die Pünktlichkeit. Wie die gesamten öffentlichen Verkehrsmittel in diesem Land, nehmen auch die Busse die Zeiten recht locker. Wir kamen mit einer Verspätung von 3 Stunden wieder in Buenos Aires an, dafür aber halbwegs ausgeschlafen. Von Uruguay habe ich persönlich bisher nur Mercedes gesehen, aber es hat mir unglaublich gefallen! Das Land ist eines der grünsten Länder in Südamerika und die Kleinstadt Mercedes war mit ihrem Rio Negro und ihrer schönen Flusspromenade eine sehr tolle Abwechslung von der nie schlafenden Großstadt Buenos Aires. Wir sind jetzt auf jeden Fall alle wieder total im Reisefieber und ich werde meine langen Wochenenden auf jeden Fall gut nutzen! Ich freue mich schon darauf, mehr zu sehen vom anderen Ende der Welt!
Ich könnte noch stundenlang berichten, von den kulurellen Angeboten, die es hier zuhauf gibt, von meinen Tourierfahrungen von Buenos Aires und und und. Aber das werde ich vielleicht einfach noch einmal gesondert berichten.
Im Allgemeinen kann ich nur sagen, dass es mir hier sehr gut geht. Ich habe gelernt, dass es sich lohnt sich zu trauen. Wer viel fragt, wird schlauer und wer einfach mal macht, erlebt die besten Dinge. Der Kontakt nach Hause geht in den ganzen Erlebnissen hier gerade etwas unter, dafür möchte ich mich entschuldigen. Ich bin einfach gerade sehr beschäftigt mit der Stadt, den Menschen und ein Stück weit mit mir, ich freue mich immer sehr, wenn sich jemand bei mir meldet und versuche wirklich, immer zu antworten.
In diesem Sinne, liebe Grüße aus dem argentinischen Frühling!
Liebe Nele, Ich bin jedes Mal total begeistert, Deine Beiträge zu lesen. Deine Eindrücke sind so lebendig und so gut beschrieben, dass man sich das echt gut vorstellen kann…. ich freue mich sehr, dass es Dir so gut geht und Du die Zeit mit vielen tollen und bewegenden Erlebnissen nutzt. Ganz liebe Grüße aus dem herbstlichen Stuttgart!!!
Birgit, Hans und Yannik
Mit freundlichen Grüßen Birgit Isenmann
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Danke für die lieben Worte Birgit!! Ich hoffe, euch geht es gut und ihr genießt den Herbst! Ich denke an euch,
Nele
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Cool! Mehr kann man da niocht äußern!!! :-))
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