Seit knapp 2 Monaten bin ich jetzt wieder auf deutschem Boden und hab endlich mal die Zeit, vielleicht auch eher die Ruhe gefunden, meinen letzten Bericht über Argentinien zu schreiben. Es haut mich immer noch um, wie man nach einem 13-stündigen Flug einfach wieder in einem anderen Leben landen kann. Und das einzige, was noch wirklich bleibt, sind Gegenstände und Erinnerungen.
Ich weiß noch, wie ich geflogen bin und dachte, wenn ich wieder komme nach einem Jahr bin ich ein komplett neuer und vor allem besserer Mensch. Ich weiß nicht, was genau ich mir unter einem besseren Menschen vorgestellt habe und ob das so überhaupt existiert. Jedenfalls bin ich nicht als Mutter Theresa zurückgekehrt, ich habe immer noch keinen Heiligenschein und habe, man kann es kaum glauben, immer noch mehr als genug Ecken und Kanten. Ich kann immer noch nicht Gitarre spielen und das mit der Mülltrennung wird weiterhin nicht meine Stärke sein.
Ich bin mit einem Rucksack voll mit Erfahrungen und Erwartungen losgezogen und mit einem noch viel größeren Rucksack zurückgekehrt. Vollbepackt mit neuen Menschen, neuen Geschichten, neuer Musik und neuen Bildern. Mit neuen Ansichten, neuen Eindrücken und alten Zweifeln. Ich habe immer noch keinen Plan vom Leben, aber irgendwie ist das in Ordnung. Weil niemand so wirklich einen Plan zu haben scheint.
Anstatt hier jetzt weiter Floskeln über den Sinn des Lebens auszupacken, möchte ich mich nochmal verabschieden von einer Zeit, die wunderschön, beeindruckend, verzweifelt, traurig, überfordernd und vor allem unvergesslich war. In einer Stadt, die all die Adjektive mit Stolz ebenfalls verdient hat.
Buenos Aires ist eine Stadt, die vor Leben sprüht. Sie steht niemals still, es gibt zu jeder Tages- und Nachtzeit etwas zu entdecken. Die Zeitwahrnehmung der Menschen ist komplett anders. Eine „Nacht der Museen“ ist dort wirklich eine Nacht, sie hört morgens um 4 Uhr auf, während deutsche Museen um sage und schreibe 22 Uhr ihre Türen schließen. Gerade durch all die Nationalitäten, die sich in dieser Stadt treffen, begegnet man überall einer unglaublichen Vielfältigkeit; sowohl im kulinarischen, als auch im kulturellen. Meiner Meinung nach wird Buenos Aires, wie auch ganz Argentinien, vielleicht sogar ganz Südamerika eindeutig unterschätzt. Durch den „Dritte Welt“-Stempel projizieren viele Menschen Armut, Krieg, Not und vor allem Unsicherheit auf diesen Kontinent. Man glaubt, man müsse den Menschen helfen, als übergeordnete, besser funktionierende Gesellschaft. Als Vorbild. Und ja, in Argentinien herrscht mehr Armut als in anderen Ländern, Buenos Aires ist unsicherer als andere Städte und vor allem die Politik ist instabiler. Aber das macht dieses Land nicht zu einem Land, dass man unterschätzen kann. Dass ein Vorbild braucht. Ich hab selten so viele Vorbilder und beeindruckende Menschen getroffen, wie in diesem Jahr. Und ja, manche davon waren auch Jugendliche wie ich, die mit mir zusammen dorthin gereist sind.
Mir ist in diesem Jahr klar geworden, dass jeder von uns ein Vorbild ist. Meine kleinen Kids im Projekt waren ein Vorbild für mich. Weil sie immer gelacht haben, egal wie viele Gründe es zum weinen gab. Weil sie so einfach und selbstverständlich Liebe und Dankbarkeit ausgestrahlt haben, deine Hand genommen haben und dir ihre Welt durch ihre Augen gezeigt haben. Jede meiner Kolleginnen ist für mich ein Vorbild, weil sie ihren Beruf ausüben, manchmal sogar 2 oder 3, um genug Geld zu verdienen und sich trotzdem entschieden haben, mit Kindern zu arbeiten. Man sollte dazu wissen, dass ein Busfahrer in Argentinien mehr verdient als ein Lehrer. Diese Gruppe an Frauen managet jeden Tag einen Kindergarten bei dem 30 Kinder auf eine Erzieherin kommen und hat dabei so einen Spaß, dass man garnicht anders kann, als auch zu lachen. All die Menschen, die ich auf Reisen getroffen habe waren für mich in bestimmten Punkten ein Vorbild, weil ich durch viele dieser Menschen komplett neue Lebenseinstellungen und Ansichten entdeckt habe. Die Mentalität der Argentinier ist für mich vorbildlich; auch zu feiern, wenn alles den Bach runter geht. Den Mund aufzumachen, sich gegen die zu stellen, die das Land in den Ruin treiben. So zu tanzen, wie sie es tun und vor allem so viel zu tanzen, wie sie es tun. So unglaublich gutes Essen zuzubereiten. So offen zu sein und nicht alles zu 100% wichtig zu nehmen.
Und all die Freunde, die sich entweder mit mir auf die Reise begeben haben oder die ich in Argentinien gefunden habe sind ein Vorbild für mich. Diese Freude am Leben, die ich überall erfahren habe. Diese Begeisterung für seine Mitmenschen, diese Unterstützung und dieses Strahlen, was ich bei so vielen meiner Lieben entdeckt habe. Manchmal muss man einfach glücklich sein und auf die Dinge anstoßen, die wir können, die wir erreichen und von denen wir träumen. Ich hoffe, dass ich mir dieses Strahlen immer im Herzen behalten werde und dass ich auch andere Menschen damit anstecken kann. Und ich hoffe, dass in meinem weiteren Leben immer Zeit für einen kurzen Moment Argentinien ist. Mit seiner Hitze und seinem Regen. Mit all den Dingen, für die man noch viel kämpfen muss und all den Dingen, für die schon viel gekämpft wurde. Und für seine Emotionen und seinen Charme. Für die Wüsten und die Gletscher und diese riesige Stadt, in der so viel Gutes und Schlimmes gleichzeitig passiert.
Der Sinn eines Ökumenischen Friedensdienstes ist nicht, dass die erste Welt der dritten Welt hilft und als Helden in die Länder kommen. Denn das sind sie mit Sicherheit nicht. Es geht darum, Menschen und Kulturen zu verbinden und jungen Menschen früh zu zeigen wie vielfältig die Welt ist und wie schön diese Vielfältigkeit ist. Und wie viel wir eben nicht wissen hier ins unserem Deutschland, wie viel wir lernen und mitbringen können und wie viel wir alle zusammen erreichen können. Stück für Stück, jeder ein bisschen. Es fängt an, wenn eine kleine argentinische Martina der deutschen Nele die Hand reicht und sie zusammen ein Bild malen.
Ich weiß nicht genau, wie dieser Blog weitergehen wird, aber er wird weitergehen. Wen es interessiert ist immer herzlich eingeladen mein Geschwafel über die Welt zu verfolgen, ansonsten schön, dass ihr mich begleitet habt nach Argentinien. Danke dafür!
Zum Abschluss noch ein Zitat, was wir uns alle mal zu Herzen nehmen können:
Usa tu sonrisa para cambiar el mundo y no dejes que el mundo cambie tu sonrisa.
(Nutze dein Lächeln, um die Welt zu verändern, aber lass nicht die Welt dein Lächeln verändern.)
Wer sich noch ein bisschen den Soundtrack meines Jahres anhören will, dem empfehle ich unsere meistgehörte Band im letzten Jahr, anbei der Link: Onda Vaga: Esenciales
Fue un placer, Argentina. Hasta siempre,
Nele